Xontormia Express 1276

Aus Eressea
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Wir schreiben die erste Woche des Monats Eiswind im Jahre 41 des zweiten
                          Zeitalters. Es ist Winter.



Neue Welt

Bittere Medizin

Irgendwann im Sommer. Etwas später als das Treffen zwischen dem Häuptling und der Schamanin.

Das Wigwam des Häuptlings zur Nacht. Dunkelheit, das Feuer im Zentrum ist niedergebrannt, nur noch die Glut ist zu sehen und verbreitet Licht, wenn auch sehr wenig. Die Orks, die auf dem Boden sitzend darum gruppiert sind, sind nur in ihren Schattenrissen zu erkennen. Eine langstielige Pfeife wird herumgereicht, deren Glut manchmal aufleuchtet. Der Geruch von Pfeifenkraut hängt dick in der Luft.

Kragash, der Häuptling, war an der Reihe. Er nahm einen kräftigen Zug, zog den Rauch ganz tief in seinen Körper, behielt ihn dort, solange er es aushielt, ehe er ihn so langsam wie möglich durch seine Nüstern wieder herausließ. Er spielte auf Zeit, versuchte den Moment so lange wie möglich herauszuzögern. Noch immer war er sich unsicher, ob auch wirklich die richtigen Orks zusammen saßen. Vor ein paar Minuten war er schon kurz davor gewesen, die Versammlung aufzulösen, doch dann hatten ihn seine Zweifel schweigen lassen. Stattdessen hatte er dem Geplänkel seiner Ältesten zugehört, eine weitere Runde der Pfeife abgewartet und war nun an genau der gleichen Position wie zuvor. Sollte er etwas sagen? WAS sollte er sagen? Und waren es nicht zu viele, denen er es sagte?

Er räusperte sich mit einem Grunzen. Sogleich verstummten die leisen Stimmen der Ältesten, die natürlich wussten, dass er sie nicht so ohne weiteres geladen hatte. Aber was sollte er tun? Sie mit einem harschen Wort, einer herrischen Geste in ihre eigenen Zelte schicken? Oder war es nun doch endlich an der Zeit, ihnen mitzuteilen, was ihm auf dem Herzen lag? Kragash knirschte mit den Zähnen. Oh wie viel einfacher war es gewesen, im Gefecht die Schilde aneinander zu legen und auf den gegnerischen Speerwall zuzumarschieren? Den Spieß in den Boden zu stemmen und die Attacke der feindlichen Reiterei zu erwarten? Die Schwerter mit dem gegnerischen Kriegsherrn zu kreuzen im Ring des Duells? Wie konnte ein einfaches Gespräch mit seinen eigenen Clansbrüdern – seinen Untergebenen! – so viel schwerer sein als das?

Eine Stimme lästerte in seinem Inneren: „Vielleicht hast du nur vergessen, wieviel Angst du damals hattest! Hast du vergessen, wie damals der Schildwall von Shebbal Kar zerbrochen ist? Nicht alle deine Schlachten waren Siege!“

Kragash schnitt eine Grimasse. Nein. Die Angst, die er bei der Niederlage von Shebbal Kar empfunden hatte, würde er nie vergessen. Vermutlich würde es das letzte sein, an das er sich erinnern würde, wenn der Rest seiner Erinnerungen längst verblichen war und sich sein Verstand verflüchtigt hatte.

Die Erinnerung brachte ihm die Entscheidung. Die Worte mussten gesprochen werden. Und sie mussten jetzt gesprochen werden. Doch noch bevor er das erste Wort über seine Lippen brachte, eröffnete Erak mit rauchiger Stimme: „Willst du uns nun endlich erzählen, weswegen du uns gerufen hast? Der Hammer muss pochen, aber das macht er nicht, wenn ich nicht dort bin!“

Zorn blitzte in Kragashs Augen auf, Zorn darüber, dass ihm die Meisterschmiedin zuvorgekommen war. Doch es war ihr Recht, zu fragen. Ihr Recht, es zu erfahren.

„Khaine.“ Er ließ das Wort in die Stille fallen wie der Händler ein Säckchen Gold auf den Tisch warf. Wie ein Kopfgeldjäger seinen Beuteskalp. Wie ein Kriegsherr seinen Dolch zur Kriegserklärung. In den meisten Runden hätte der Name des Blutgottes zu Aufsehen und Trubel geführt, doch die Ältesten waren keine Frischlinge mehr und konnten ihre Emotionen beherrschen – so gut, dass keiner ein Worts sagte, bis Kragash von selbst fortfuhr zu erzählen. Er berichtete, wie der Kundschafter Olokr auf den Elfen getroffen war, er erzählte, dass sich auf der Insel eine Allianz aus Fünfen gebildet hatte, die dem Blutgott folgten und sich auf einen langen Feldzug durch diese Welt vorbereiteten. „Und wir sind eingeladen, daran teilzunehmen“, beendete Kragash seine Erzählung. Dann griff er nach der Pfeife, lehnte sich zurück und schloss die Augen.

„Khaine“, grunzte Speermeister Vark. „Endlich.“

„Hatten wir nicht dem Schlächter abgeschworen?“, knurrte Krenn, die verlorene Händlerin.

„Tausend Mal haben wir über die Raubzüge gesprochen“, fauchte Ishka, die Räuberhauptmännin, „und tausend Mal waren wir uns einig, den Blutzoll so niedrig wie möglich zu halten. Soll das nun alles nichts mehr gelten?“

Auch die anderen stimmten nun mit ein: Xek, der Meister des blutigen Ringens, dessen gebleckten Zähne im Lichte der Glut rot schimmerten, der Schwertmeister Ashylov, dessen süffisantes Grinsen höhnisch aus seinen Worten troff, der erste Rottenführer Koshev, der scheinbar auf nichts anderes gewartet hatte als auf eine solche Wendung des Schicksals ihres Clans. Nur aus einer Ecke drang nichts weiter als vorwurfsvolle Stille. Krobav, die Schamanin des nordischen Erschaffers, hatte nichts neues erfahren und nichts neues zu sagen. Was sie dachte, wusste Kragash bereits. Es unterschied sich kaum von dem, was Krenn und Ishka zu sagen hatten.

Die Frauen für die Grundsätze. Die Männer… nicht ganz so sehr. Konnte das Denken der Orks so einfach zu erklären sein? Doch das war eine Überlegung, für die Kragash nun keine Zeit hatte.

„Was würdest du von mir erwarten, Krenn?“, grunzte der Häuptling in Richtung der Händlerin. „Ich will das Überleben des Clans, ebenso wie wir alle. Glaubt ihr wir würden überleben, wenn wir uns gegen diese Allianz der Fünfen stellen würden? Glaubst du das, Ishka, oder du, Krobav? Und ist es wirklich so, dass unsere einfachen Stammesbrüder ebenso wie wir daran glauben, dass Khaine wirklich eine so schlechte Wahl wäre? Seht zu Vark, zu Xek, zu Ashylov. Wenn die Ältesten so schnell darin sind, unsere friedliche Überzeugung ins Meer zu werfen, was meint ihr, wie schnell unsere einfachen Brüder bereit sind, wieder in den Krieg zu ziehen?“ Er erhielt keine Antwort. Doch er brauchte auch keine. Er wusste selbst, wie zart das Pflänzchen eines friedlicheren Orklebens gewachsen war. Nun musste er es brechen. „Wenn wir mit dieser Allianz marschieren wollen, brauchen wir Krieger. Wir brauchen Silber. Wir brauchen Waffen, wir brauchen Marschrationen, wir brauchen Reittiere. Kümmert euch darum.“ Nun kam er, der bitterste Tropfen, den Kragash zu schlucken hatte, seitdem er die Nachricht des nahenden Blutgottes gehört hatte. Doch es war nötig, diese bittere Medizin zu schlucken. Anders würden Kragashs Pläne in Asche verglühen und der Clan untergehen. „Ich entbinde euch von allen Einschränkungen, die ich euch bisher auferlegt hatte.“

Mord Rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln, grübelte Kragash mit einem Kopfschütteln. Aber es war die einzige Möglichkeit. Die einzige, einzige Möglichkeit. Und wer wusste schon, wenn er es sich nur oft genug vorsagte, vielleicht würde er irgendwann sogar daran glauben?

- so beobachtet im Wigwam des Häuptlings, Bruchzahnclans, Rabenstamm