Xontormia Express 1390
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Wir schreiben die erste Woche des Monats Blütenregen im Jahre 45 des zweiten
Zeitalters. Es ist Frühling. (15.02.2025)
Es ist Frühling. Endlich. Für die Insekten beginnt wieder eine Zeit des Lebens und der Freude. Außer vielleicht im Schwarm. Die Redaktion weiß nicht mehr als ihr und wir sind gespannt, wie die Geschichte dort weiter geht.
In der heutigen Ausgabe gibt es wieder einen Artikel der Sidhe aus der 6. Welt.
6. Welt
Insel Neu-Tolfalas, Region Zemur, Turm mit dem Namen "Des Traumtaenzers Halle der Erkenntnis"
Soleil, eine noch sehr junge Sidhe, hatte sich schon als kleines Kind als äusserst neugierig und xenophil erwiesen. Diese Eigenschaften, gepaart mit der Abwesenheit von Furcht und auf der nach unten offenen Skala an Taktgefühl nicht messbarem Wert, bei gleichzeitig unerschütterlichen Optimismus, prädestinierten sie schon früh für eine steile Karriere im diplomatischen Dienst. Wer als Kind unbedingt die Barthaare eines Zwergen zählen wollte ("Darf ich Deine Barthaare zählen? Eins (rupft), Zwei (zieht).. usw.") oder einem Drachen furchtlos ins Maul schauen kann ("Igitt. Du hast ja Mundgeruch. Du solltest Dir öfters die Zähne putzen... Oh, war das gerade der Versuch, Feuer zu speien? Sich dabei zu verschlucken, ist aber sehr ungeschickt!"), dem kann auf dem diplomatischen Parkett eigentlich nichts Schlimmes widerfahren, da dieses sofort Reißaus nimmt, sobald Soleils Silhouette am Horizont sich abzeichnen sollte.
Nun war sie im Auftrag des Außenministeriums unterwegs zum traumtanzenden Herrscher der Sidhe. Oder war es im Auftrag des Innenministeriums? So ganz klar war ihr des nicht, da das Innen das Außen des Innen, wie das Außen das Innen des Außens ist. Auf ihrer linken Schulter thronte mit stolzgeschwellter Brust eine schneeweisse Ratte mit scheinbar rotglühenden Augen, in deren Fell sich, wie ihr andächtig flüsternd unter dem größten Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt worden wahr, ein Drache, getarnt als Floh, oder ein Floh, der glaubt, ein Drache zu sein, verbergen soll. Also ein floh...drache, offiziell akkreditiert als Botschafterassistenz der Botschafterdrohne der Königin des Schwarmes Tzi-Zzi. Zu sehen war in dem Fell für Soleil nichts, ab und zu glaubte sie aber ein kaum wahrnehmbares Jammern zu hören, das wie "asyl, asyl, o bitte, bittebittebitte, ASYLASYLASYL" klang. Warum eine Änderung von swrm in schrm Panik in einem Drachenfloh auslösen sollte, konnte Soleil sich nicht erklären. Das sah doch eher wie eine Verbesserung aus- das w wurde zum c befördert (ein rasanter Karrieresprung), und dazu gab es noch ein h als Zugabe.
Soleil war noch nie in Audienz beim Herrscher der Sidhe gewesen. Dessen Residenz hatte sie sich... anders vorgestellt. Keine Spur von Prunk. Ein massiv wirkender Turm. Soleil musste ein Labyrinth von Toren durchschreiten. Die davor Wache stehenden Sidhe waren von der Statur eher äusserst kräftige Trolle mit spitzen Ohren. Niemand fragte nach Erlaubnis oder Einladung. Unterschreiben musste Soleil aber Unmengen von Formularen, deren Inhalt sie nicht zu Gänze verstand ("... auf eigenes Risiko... Risiken und Nebenwirkungen bei Besuchern gewisslich auftretend... Haftung ausgeschlossen..."). Die sie in das Innere führenden Bediensteten wirkten um so angespannter, je weiter sie vorankamen, bis ihre Eskorte mit zitternder Stimme verkündete: "Sie haben ihr Ziel erreicht", und den Rückweg so schnell antrat, dass der Schatten nicht zu folgen in der Lage war.
Soleil musterte die die Tür zierende Inschrift: "Keinesfalls anklopfen! Bitte eintreten! Keine Sorge, wenn Du nicht träumend tanzen kannst, hier tanzen Träume mit Dir (oder Dir notfalls auf der Nase herum)". Eine Klinke oder einen anderen Mechanismus, der zum Öffnen der Tür dienen könnte, vermochte sie nicht zu erkennen. Ratlosigkeit wollte sich gerade ihrer bemächtigen, doch ihre Erinnerung gab Gas und präsentierte ihr das Bild jenes Trolles, der ihr als Kind den Weg versperren wollte und durch einen Tritt vor's rechte Schienenbein sich reflexartig das linke Bein mit Knie unter das Kinn rammte. Der Weg war danach über den gefallenen Troll hinweg frei gewesen.
Soleil trat gegen die Tür, diese zersplitterte (an unzähligen Sollbruchstellen?). Ein grosser Raum offenbarte sich ihren neugierigen Blicken. Decke, Boden und Wände schienen aus weissem, weichem gepolstertem Material zu bestehen, das ihr zu signalieren schien "An mir kannst Du Dir den Schädel nicht einrammen". Hinter ihr setzte sich die Tür wie von Zauberhand selbst wieder instand, sie vermeinte ein empört klingendes Knirschen zu hören "Mit Füssen getreten. Keine Ehrerbietung mehr, diese jungen Leute. Ich hatte um eine Klinke gebeten, gut geölt, um mit sanfter Hand geöffnet zu werden. Aber nein, seit Äonen ist der Antrag auf eine Klinke in Arbeit. Haben sie gesagt. Gedulde Dich noch ein Weilchen. Gezeichnet: Godot."
An der Wand ihr gegenüberliegend hing angegurtet eine Gestalt. Ganz in eine weisse enganliegende Ganzkörperjacke gekleidet. Ohne jegliche Arm- oder Beinfreiheit zu gewähren. Ganz sicher vorteilhaft für jene, die unter Ängsten leiden sollten, ihre Arme oder Beine zu verlieren. Allerdings sehr von Nachteil beim Tanzen, ob im Traum oder im Wachzustand, und Führung beim Tanzen würde sich auch als schwierig gestalten. Soleils Blicke wanderten weiter, an den Wänden rechter und linkerhand hingen angegurtet zwei vollkommen gleich aussehende Gestalten. In des Raumes Mitte kauerte am Boden ein verhärmt wirkender Sidhe mit hoffnungslos wirkendem Gesichtsausdruck.
Sie näherte sich diesem vorsichtig, setzte ihr bezaubernstes Lächeln auf. "Bist Du DER Traumtänzer, gottgleicher Herrscher der Sidhe, Herr über die Traumlande, Dompteur aller Alpträume?" Von unten trafen sie die Blicke, in denen der Wahnsinn flackerte. "Du arme Irre irrst. Ich bin Infelix, jener Pechvogel, der nicht schnell genug flüchtete, als ein persönlicher Sekretär für DEN Traumtänzer gesucht wurde. Das traumtanzende Trio Infernale siehst Du an den Wänden hängend. Jeder dieser gesicherten Alpträume beherbergt je einen der drei Gedanken des Traumtaenzers. Sind sie weit genug von einander getrennt, durchlaufen sie ihre Zyklen von Wahn-, Schwach- und Unsinn in Orbits ohne Schnittpunkte. Bringt man sie näher zusammen, könnten sie auf ihrer geistigen Achterbahnfahrt am Horizont zusammentreffen. Doch sind sie sich zu nahe, gehen sie Bursar, und alle in der Nähe weilenden mit ihnen mit!"
Soleil war sich nicht sicher, ob sie den Sinn von Infelix Worten hatte vollständig erfassen können. Aber wenn sie schon mal hier war... sie hatte einen Auftrag erhalten, und den würde sie ausführen. "Sekretär Infelix. Der Botschafterassistenz...floh...drache???, Botschaftsassistenz in Vertretung der Assistenzdrohne der legendären Botschafterdrohne Tch'La des Schwarmes, ersucht den Traumtänzer um Asyl! Gründe wurden nicht genannt, es sollen aber dämonisierte Königinnen, königliche Dämonisierung und den Wandel von swrm zu schwrm als Betreff im Asylantrag genannt sein."
Dem Sekretär entfuhr ein aus tiefsten Tiefen kommender Stosseufzer. Er bewegte seine Arme, die Finger voll führten kompliziert erscheinende Gestik. Das Geräusch von rasselnden Ketten erfüllte den Raum, die drei Traumtaenzergestalten bewegten sich aufeinander zu. Plötzlich hielt der Sekretär den Atem an, erstarrte regungslos. Soleil wartete gespannt. Schon befürchtete sie, Infelix hätte seinen letzten Atemzug getan, als dieser murmelnd aufstand "Sieht so aus, als wäre das gut ausgegangen. Nicht auszudenken, wenn die kritische Nähe überschritten worden wäre. Du kannst jetzt bei den Dreien jeweils am Hinterhaupt anklopfen. Es wird ein Weilchen dauern, bis der eine Gedanke in jedem der drei Traumtaenzer sich in der gaehnenden Leere zwischen den beiden Ohren gesammelt hat, und noch laenger, bis die sich untereinander ausgetauscht haben. Fasse Dich also in Geduld."
Soleil schnaubte verächtlich. Anklopfen. HA! Das hatte sie nun wirklich nicht nötig. Was bei Trollen und Türen funktioniert, sollte beim Trio Infernale doch auch von Erfolg gekrönt sein. Balletartig dreht sie eine Pirouette, trat dabei blitzschnell jeder der drei Traumtaenzer vor's Schienenbein, und da sie gerade einen guten Lauf hatte, bekam Infelix rechtes Schienenbein auch noch einen Tritt als Zugabe. Und damit sich des Sekretärs linkes Schienenbein nicht beschweren würde, diskriminiert worden zu sein, wurde auch dieses bedacht.
Der Erfolg zeigte sich auf der Stelle. Infelix warf sich ihr, oder den drei Traumtaenzern, zu Fueßen, alle drei Traumtaenzer fingen an, simultan im Gleichklang zu reden, allerdings ohne den gleichen Inhalt von sich zu geben. Soleil war nicht gaenzlich sicher, ob sie alles richtig hatten zusammensetzen können, aber Wortpuzzles hatten ihr früher schon Spaß gemacht. Verstanden hatte sie vorerst die folgenden traumtanzenden Aussagen:
"...Asylantrag stattgegeben. Botschafterflohdrache nun bekannt als Lysa Gartan. Gartan bedeutet kleiner Garten, Sanctuary, Zuflucht, Kirchenland. Kein Dämon kann Kirchenland betreten... Wer wird denn Angst haben vor dem Dämon? Dämon ist mondän, mondän ist kostbar, kostbar wird von Goblin geklaut, ein Goblin ist klein und schwach, kleiner schwacher Dämon wird von Drachenfloh zum Frühstück verspeist... Drachenfloh, reite die Schneekugel, werfe Schneekugel auf Dämon, in dem entstehenden Gletscher bleibt Dämon auf immerdar gefangen... Das Alles Verschlingende Schwarze Loch, auch bekannt als unersättlicher Magen des Pentagramnmhalblings Antarius, und den schrm Dämon samt seiner alles fressen wollenden Insekten einander vorstellen. Des Antarius Magen hat gegen einen proteinhaltigen knusprigen Snack serviert auf Eresseaplatte gewiss nichts einzuwenden..."
Weißer, aufsteigende, sich verdichtender Nebel nahm Soleil die Sicht. Sie blinzelte, ihre Augen waren verklebt. Eine Stimme schien lauter werdend zu ihr durchdringen zu wollen. Die Stimme ihrer Mutter! "Soleil, hast Du schon wieder im Traum getanzt? Und erneut das Bett zusammengetreten? Um Dich geschlagen? Komm, es gibt heissen Kakao!". Soleil gähnte. Was für ein merkwürdiger Traum...
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