Xontormia Express 0949

From Eressea
Jump to navigationJump to search

Xontormia Express Ausgabe 4

Dritte Woche des Monats Sturmmond im Jahre 29 des zweiten Zeitalters

(mehr oder weniger) Aktuelles Zeitgeschehen

Unerwartete Hindernisse

"Chère Mme O.

Mit großem Interesse habe ich Ihre letzte Nachricht gelesen. Es existieren keine weiteren Zeugen dieses Ereignisses in unserem Königreich, das kann ich Euch versichern. Was Eure "göttliche Vision" angeht habe ich demnach nur Euer Wort, und Eure Schlussfolgerungen sind, für sich genommen, gewagt. Ich werde Euch jedoch den Aufwand ersparen, zur persönlichen Befragung in die Heimat zurückzukehren, denn eure Aussage ist der Schlüssel, der diverse Berichte unseres Agentennetzes der letzten Monate endgültig bestätigt und zu einem zusammenhängenden Bild zusammenfügt.

Ich bestätige daher Eure Analyse, und teile Eure Schlussfolgerung. Ich habe einige Pläne aus der Schublade geholt und in Gang gesetzt. Wie Euch sicher bewusst ist, sind die Ressourcen unseres kleinen Königreiches beschränkt, daher sind wir auf die Zustimmung und Zusammenarbeit unserer Verbündeten angewiesen. Ich habe in den letzten Wochen sämtliche mir zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung gesetzt, um eine schnelle Entscheidung herbeizuführen. Bei einigen Personen habe ich damit offene Türen eingerannt, aber die überwiegende Reaktion war freundlich verpackte Verweigerung. Die Kapitänsgilde verlangt Risikoprämien und (wie immer) mehr Schiffe. Die Händler befürchten wahlweise Engpässe oder Warenschwemmen und lehnen alles ab was ihre auf mehrere Jahre vorausberechneten Absatzszenarien durcheinanderwirbeln könnte. Gestern erreichte mich ein Dokument in dem ich detailliert aufgeschlüsselt den Einfluss unseres Vorschlags auf die unmöglichsten Gebiete bewerten soll, mit dem Versprechen mein Antrag würde dann bewertet, begutachtet und in einer der nächsten Sitzungen dem Verwaltungsrat zur Kenntnisnahme vorgelegt. Wenn ich es richtig überschlagen habe dauert der ganze Prozess etwa vier bis fünf Jahre, vorausgesetzt wir geben einen Haufen Geld für Experten aus, die dann beweisen können dass wir - nur als Beispiel - die Einhaltung des Sammelratenzielkorridors an Eulenauge nicht gefährden. Ich zittere innerlich vor der Vorstellung, in welche Rage sich die Bürokraten bringen könnten, falls doch aus Versehen einer unserer Leute eins dieser kostbaren Kräuter unter seinem Stiefel zerträte.

Ihr seht, ich glaube nicht, auf diesem Wege schnell etwas erreichen zu können.

Hochachtungsvoll Prince Phillipp"


Die Duchesse seufzt und setzt ihre Lesebrille ab. "Vermutlich nicht mal übertrieben, aber der Junge traut sich wie immer zu wenig zu. Ich bin mir sicher wenn er ein bisschen motivierter wäre, könnte er Le Roi genügend Gold abschwatzen um das Verfahren abzukürzen." Ihr Blick wandert kurz zwischen ihren beiden Schwestern hin und her und bleibt dann an der älteren hängen. "Marie, meine Kleine. Du hast seit wir hier sind schlechte Laune. Es betrübt mich, dich immer so zu sehen. Wir werden dir gleich morgen eine Trireme zurück in die Heimat organisieren. Die Gesellschaft unseres Volkes wird dir gut tun." Die Angesprochene erhebt sich vom Tisch an dem die drei sitzen und funkelt ihre Oberin an. "Das könnte dir so passen, alte Frau. Du kennst nur eine Art, ein Problem zu lösen: Angel dir den Mann in der richtigen Position, bring ihn dazu es zu tun und danach verschwindet einer von euch. Das ist zeitraubend und unnötig kompliziert. Ich werde bestimmt nicht Monate meines Lebens damit verbringen einem hinterwäldlerischen Politiker die nächsten Schritte zuzuflüstern. Jeder ist für seine Probleme selbst zuständig, und ich löse meine auf meine Art. Heißt es nicht 'Neue Besen kehren gut'? Vielleicht sollte sich Le Roi einen neuen, eifrigeren Minister suchen. Für eine solche Aufgabe würde ich sogar die Überfahrt auf mich nehmen." Im Herausgehen greift sie den schweren Bogen der neben der Tür abgestellt ist. "Aber wenn du glaubst, dass dein Weg der richtige ist, dann fahr doch selbst."

Nach einigen Momenten bricht die Duchesse das betretene Schweigen und wendet sich dann ihrer verbliebenen Schwester zu. "Ihr jungen Leute wollt einfach nicht einsehen, dass Veränderung Zeit braucht. Wir können sie beschleunigen, wenn wir die richtigen Fäden ziehen, sicher, aber ein wenig Geduld ist schon vonnöten. Du weißt, ich würde auch selbst fahren, aber meine Stellung hier legt mir gewisse Pflichten auf, und mein Fortgang würde sich negativ auf unsere Sache auswirken. Auch würden zu viele Fragen gestellt. Du bist in den höheren Kreisen unbekannt genug, dass man dich für nicht wichtig hält. Für dich können wir einen harmlosen Vorwand für die Reise erfinden." Die Angesprochene blickt nachdenklich auf den Tisch und studiert die Maserung des Holzes. Es dauert eine Weile, bis sie spricht. "Schwester Marie mag unsägliche Manieren haben, aber ich teile ihre Bedenken. Was nützt uns ein Beamter am Hof von Le Roi, ja was nützte uns der ganze Hof bis hinauf zum Thron? Zu euren Zeiten mag es gereicht haben, ihn zu kontrollieren, doch damals war die Welt kleiner und das Wort der Maîtres hatte Gewicht bei ihren Verbündeten. Jetzt werden die Entscheidungen hier getroffen. Wie auch immer wir vorgehen, es muss hier sein." "Das ist alles nicht so einfach, mein Kind. Glaube mir, ich kenne jede Person von Rang hier, und eins haben sie alle gemeinsam: Ihr Einfluss ist verschwindend gering. Hier ist es nicht so wie Zuhause, wo Einzelpersonen wichtige Entscheidungen treffen können. Alles wird erfasst, bewertet und in die Zentrale gebracht. Am anderen Ende kommen dann alle Anweisungen fertig heraus und müssen nur noch umgesetzt werden. Eher trennst du einen Zwerg von seiner Laenaxt, als dass du einen Bürokraten dazu bringst eine Entscheidung der Maschinerie abzuändern. Selbst die Mitglieder des Verwaltungsrats sind nur Sprachrohre des Apparats, die nachplappern was ihnen vorgesetzt wird. Einer ist so rückgratlos wie der nächste. Wer auffällt wird vom System ausgestoßen." "Aber so wie jeder Mensch einen Kopf hat der die Entscheidung trifft, muss es doch auch hier jemanden geben. Was ist denn mit dem Kleinen Mann?" "Der Kleine Mann? Kindchen ich sagte doch, ich kenne alle wichtigen Personen hier, und ihn habe ich noch nie getroffen. Und warum? Ganz einfach: Er existiert nicht. Ein Mythos den sich die Leute ausgedacht haben. Nichts anderes als ein Name, den sie ihrem Apparat gegeben haben. Ein Anthropomorphismus." "Ich verstehe. Ich muss etwas nachprüfen, pass bitte kurz auf meinen Körper auf." Die Novizin beugt über den Tisch, legt den Kopf auf die zum Kissen geformten Arme und schließt die Augen.